Hans-Georg Küffner - Kirchenrecht
Bundesverfassungsgericht
Kammerbeschlüsse
GG Art. 19 IV, 140; WRV Art. 137 III; BVerfGG §§ 23 1 2, 92
Wendet sich ein Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, die seine gegen den Ausschluss aus einer Religionsgemeinschaft (hier: der Zeugen Jehovas) gerichtete Klage unter Hinweis auf das nicht durchgeführte innerreligionsgemeinschaftliche Rechtsschutzverfahren (hier: Rechtskomitee-Verfahren) abgewiesen haben, so erfordert eine hinreichend substanziierte Darlegung der Möglichkeit einer Verletzung des Justizgewährleistungsanspruchs Ausführungen dazu, warum das Beschreiten des innerreligionsgemeinschaftlichen Rechtswegs von vornherein aussichtslos oder aus sonstigen Gründen für den Beschwerdeführer unzumutbar gewesen wäre. (Leitsatz der Redaktion)
BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 3.4.2019 -2 BvR 328/16
Ausschluss aus einer Religionsgemeinschaft - Innerreligionsgemeinschaftlicher Rechtsweg
Zum Sachverhalt
Der Bf. wandte sich vor den Verwaltungsgerichten ohne Erfolg gegen seinen Ausschluss aus der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas (s. VG Berlin, Urt. v. 11.12.2012 - VG 27 K 79/10; OVG BerlinBrandenburg, Beschl. v. 5.1.2016 - OVG 5 N 8/13, BeckRS 2016, 135707).
Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen.
Aus den Gründen
[1] 1. Die Verfassungsbeschwerde, mit der der Bf. die Gewährung staatlichen Rechtsschutzes gegen seinen Ausschluss aus der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas begehrt, ist unzulässig, weil sie den aus §§ 23 I 2, 92 BVerfGG folgenden Substanziierungsanforderungen nicht genügt.
[2] a) Eine den Anforderungen von§§ 23 I 2, 92 BVerfGG genügende Begründung der Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass der Beschwerdeführer sich bei einer gegen eine gerichtliche Entscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde mit dieser inhaltlich auseinandersetzt (vgl. BVerfGE 82, 42 [49] = NJW 1990, 80; BVerfGE 86, 122 [127] = NJW 1992, 2409; BVerfGE 88, 40 [45] = NVwZ 1993, 666; BVerfGE 105, 252 [264] = NJW 2002, 2621). Der angegriffene Hoheitsakt sowie alle zu seinem Verständnis notwendigen Unterlagen müssen in Ablichtung vorgelegt oder zumindest ihrem Inhalt nach so dargestellt werden, dass eine verantwortbare verfassungsrechtliche Beurteilung ohne weitere Ermittlungen möglich ist (vgl. B VerfGE 78, 320 [327] = NJW 1988, 2289; BVerfGE 93, 266 [288) = NJW 1995, 3303). Liegt zu den mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Verfassungsfragen Rechtsprechung des BVerfG bereits vor, der die angegriffenen Gerichtsentscheidungen folgen, so ist der behauptete Grundrechtsverstoß in Auseinandersetzung mit den vom BVerfG entwickelten Maßstäben zu begründen (vgl. BVerfGE 77, 170 [214 ff.] = NJW 1988, 1651; BVerfGE 99, 84 [87] = NVwZ 1999, 401; BVerfGE 123, 186 [234] = NJW 2009, 2033; BVerfGE 130, 1 [21] = NJW 2012, 907).
[3] b) Diesen Begründungsanforderungen trägt die Verfassungsbeschwerde bereits deshalb nicht Rechnung, weil der Bf. weder den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das angegriffene Urteil des VG Berlin vom 11.12.2012 (VG 27 K 79/10) noch den diesbezüglichen Begründungsschriftsatz vom 27.5.2013 vorgelegt oder deren Inhalt in hinreichendem Umfang wiedergegeben hat, so dass eine Prüfung der Beachtung des Grundsatzes der materiellen Subsidiarität nicht möglich ist.
[4] c) Darüber hinaus setzt sich der Bf. unzureichend mit den Ausführungen in den angegriffenen Entscheidungen zum Fehlen eines Rechtsschutzbedürfnisses sowie den vom BVerfG entwickelten Maßstäben zur verfassungsrechtlich gebotenen Rücksichtnahme auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften bei der Erfüllung des Justizgewährungsanspruchs auseinander.
[5] Insoweit hat das BVerfG festgestellt, dass, wenn und soweit die Kirchen die Möglichkeit geschaffen haben, Rechtsstreitigkeiten von einem kirchlichen Gericht beurteilen zu lassen, und somit die Gelegenheit besteht, die Streitigkeit im Einklang mit dem kirchlichen Selbstverständnis beizulegen, die verfassungsrechtlich geschuldete Rücksichtnahme gegenüber diesem Selbstverständnis den staatlichen Gerichten gebietet, über Fragen des kirchlichen Amtsrechts jedenfalls nicht vor Erschöpfung des kirchlichen Rechtswegs zu entscheiden (vgl. BVerfG [1. Kammer des Zweiten Senats], NJW 1999, 349). Auf dieser Grundlage verweist das OVG Berlin-Brandenburg im angegriffenen Beschluss vom 5.1.2016 (OVG 5 N 8/13, BeckRS 2016, 135707) darauf, dass ungeachtet der Frage, ob der innerreligionsgemeinschaftliche Rechtsschutz hinter den für staatliche Maßnahmen geltenden Verfahrensgrundsätzen zurückbleibt oder nicht, der Bf. gehalten war, seinen Ausschluss aus der Religionsgemeinschaft zunächst im so genannten RechtskomiteeVerfahren überprüfen zu lassen.
[6] Damit setzt der Bf. sich nicht hinreichend auseinander. Er beschränkt sich darauf, geltend zu machen, das Rechtskomitee-Verfahren sei im Recht der Religionsgemeinschaft ,,Jehovas Zeugen in Deutschland" nur beiläufig erwähnt, inhaltlich nicht ausreichend ausgestaltet und beachte verfahrensrechtliche Mindeststandards nicht. Zu der Feststellung, das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften gebiete den staatlichen Gerichten auch bei Unterschreitung der für staatliche Maßnahmen geltenden Verfahrensgrundsätze, nicht vor der Erschöpfung des innerreligionsgemeinschaftlichen Rechtswegs zu entscheiden, verhält der Bf. sich nicht. Er hat in dem auf seinen Ausschluss gerichteten Rechtskomitee-Verfahren lediglich am 7.4.2009 eine Stellungnahme abgegeben. Die in § 15 I Nr. 6 des Statuts von Jehovas Zeugen in Deutschland vorgesehene Berufung gegen den Beschluss des Rechtskomitees hat er nicht eingelegt. Dass das Beschreiten des innerreligionsgemeinschaftlichen Rechtswegs von vornherein aussichtslos oder aus sonstigen Gründen für den Bf. unzumutbar gewesen wäre, ergibt sich aus seinem Vortrag nicht. Damit fehlt es aber an einer hinreichend substanziierten Darlegung der Möglichkeit einer Verletzung seines Justizgewährungsanspruchs.