Hans-Georg Küffner - Steuerstreitführung

Zum Rechnungsmerkmal „vollständige Anschrift“ bei der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug

Bundesfinanzhof: Belegnachweis beim Vorsteuerabzug

 

§ 15 UStG enthält neben der Rechnung keine belegartig zu erfüllenden Voraussetzungen. Daher führt die Verletzung einkommensteuerrechtlicher Aufzeichnungspflichten zu keinem Vorsteuerabzugsverbot, da eine Einschränkung des Vorsteuerabzugs wegen nicht eingehaltener Formvorschriften für den Nachweis von Betriebsausgaben im Ertragsteuerrecht für den Bereich der Umsatzsteuer unionsrechtswidrig ist. Dies ist auch für das Fahrtenbuch als sog. Belegnachweis i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG zu beachten. 

BFH Beschluss vom 02.07.2021 - V B 34/20

Niedersächsisches Finanzgericht: Kleinere Mängel und Ungenauigkeiten im Fahrtenbuch

 

  1. Kleinere Mängel und Ungenauigkeiten (im Streitfall: Verwendung von Abkürzungen für Kunden und Ortsangaben; fehlende Ortsangaben bei Übernachtung im Hotel; Differenzen aus dem Vergleich zwischen den Kilometerangaben im Fahrtenbuch und laut Routenplaner; keine Aufzeichnung von Tankstopps) führen nicht zur Verwerfung des Fahrtenbuchs und Anwendung der 1 %-Regelung, wenn die Angaben insgesamt plausibel sind (Anschluss an BFH, Urteil vom 10. April 2008 VI R 38/06, BFH/NV 2008, 1373). Maßgeblich ist, ob trotz der Mängel noch eine hinreichende Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben gegeben und der Nachweis des zu versteuernden Privatanteils an der Gesamtfahrleistung des Dienstwagens möglich ist.
  2. Dem Finanzamt ist zuzumuten, fehlende Angaben zu Hotelübernachtungen aus vorliegenden Reisekostenunterlagen zu ermitteln, sofern ist sich nur um vereinzelte Fälle handelt (Abgrenzung zu FG Köln, Urteil vom 15. September 2016 10 K 2497/15, EFG 2016, 2081).
  3. In der Regel müssen die Angaben zu den Kilometerständen sofort, d.h. am Ende jeder Fahrt gemacht werden. Nur Präzisierungen des beruflichen Zwecks dürfen ggf. noch innerhalb einer Woche nachgeholt werden. Die Indizwirkung, die von fehlenden Gebrauchsspuren und einem gleichmäßigen Schriftbild einies Fahrtenbuches in Bezug auf eine unzulässige Nacherstellung ausgeht, kann vom Steuerpfllichtigen entkräftet werden.
  4. Die Anforderungen an das ordnungsgemäße Führen eines Fahrtenbuches dürfen nicht überspannt werden, damit aus der widerlegbaren Typisierung der 1%-Regelung in der Praxis nicht eine unwiderlegbare Typisierung wird. Gerade im Hinblick auf die stark typisierende 1%-Regelung wäre dies aus verfassungsrechtlichen Gründen – es droht eine Übermaßbesteuerung – nicht zu rechtfertigen. Der BFH (etwa Urteil vom 13. Dezem-ber 2012 – VI R 51/11, BFHE 240, 69, BStBl II 2013, 385) stützt die Verfassungsmäßigkeit der 1%-Regelung als „grober Klotz“ mit teilweise stark belastender Wirkung u.a. auf die Möglichkeit, zur Vermeidung einer Übermaßbesteuerung ein Fahrtenbuch zu führen (sog. Escape-Klausel).

Nds. Finanzgericht, Urteil vom 16.06.2021 - 9 K 276/19

Zum Urteil Beschluss

Zum Umfang der revisionsgerichtlichen Überprüfung einer Schätzung


1. Es ist Sache des Finanzgerichts als Tatsacheninstanz zu entscheiden, welcher Schätzungsmethode es sich bedienen will, wenn diese geeignet ist, ein vernünftiges und der Wirklichkeit entsprechendes Ergebnis zu erzielen.

2. Um es der Revisionsinstanz - beschränkt auf die Überprüfung von Rechtsfehlern - zu ermöglichen, die Schätzung nachzuvollziehen, hat das Finanzgericht darzulegen, dass und wie es seine Überzeugung in rechtlich zulässiger und einwandfreier Weise gewonnen hat.

Bundesfinanzhof, Urteil v. 16.12.2021 - IV R 1/18, Betriebsberater 2022, 480-488

Leitsatz

1. Für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug ist erforderlich, dass der Leistungsempfänger eine Rechnung besitzt, in der eine Anschrift des Leistenden genannt ist, unter der jener postalisch erreichbar ist.

2. Für die Prüfung des Rechnungsmerkmals „vollständige Anschrift“ ist der Zeitpunkt der Rechnungsausstellung maßgeblich.

3. Die Feststellungslast für die postalische Erreichbarkeit zu diesem Zeitpunkt trifft den den Vorsteuerabzug begehrenden Leistungsempfänger.

Gesetze: UStG § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1; UStG § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; MwStSystRL Art. 226

Instanzenzug: FG Köln vom 12. März 2014 4 K 2374/10 (EFG 2014, 1442), BFH - XI R 22/14, Verfahrensverlauf

Arzoumanian: ohne Titel 3